Megaprojekte wie der geplante Ausbau des Kraftwerks Kaunertal sind höchst umstritten. Setzt Tirol alles auf eine Karte?

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In Tirol ist man stolz: Bereits jetzt kommen 43 Prozent der produzierten Energie aus erneuerbaren Quellen. Etwas mehr als im Österreichschnitt. Um Klima- und Energieziele zu erreichen, genügt das freilich nicht. Bereits 2014 setzte sich die Tiroler Landesregierung zum Ziel, 2050 energieautonom zu werden. Sprich: Über ein Jahr gerechnet soll das Bundesland zumindest jene Menge an Strom selbst produzieren, das es im selben Zeitraum verbraucht.

Zugpferd ist die Wasserkraft. Mehr als 90 Prozent aller erneuerbaren Energien werden mit dem klaren Alpengold hergestellt. Abseits davon sieht es mager aus. Noch immer dreht sich kein Windrad im Heiligen Land, und im Ausbau der Photovoltaik hinkt Tirol nach. Wasserkraft hat einen Vorteil: Energie kann dann produziert und teuer verkauft werden, wenn keine Sonne scheint oder kein Wind weht.

Wasserkraft, die heilige Kuh

Doch die Gletscher schmelzen rapide und die Sommer werden trockener. Wasser wird auch im Alpenraum knapp werden. Bei der Energieproduktion quasi alles auf eine Karte zu setzen, sei in Zeiten von Krisen riskant, warnen Fachleute.

Die Politik hält am Wasserkraft-Ausbau fest. Weitere Werke werden geplant, sind in Bau oder hängen im Dickicht langjähriger Prüfverfahren. Der jetzige ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle ist gleichzeitig Aufsichtsratchef der landeseigenen Tiwag und sieht keine Notwendigkeit, die heilige Kuh des Energieversorgers zu hinterfragen.

Nachhaltige Lösung?

Die Umweltschutzorganisation WWF spricht von "Klientelpolitik" und einem "Tiroler Tunnelblick". Statt dem "völlig überzogenen Fokus auf neue Wasserkraft", brauche es einen ausgewogenen Mix an erneuerbaren Energien, sagt WWF-Expertin Bettina Urbanek. Es gebe kaum noch intakte Flüsse und jetzt schon zu trockene Sommer, trotzdem plane die Tiwag weitere Kraftwerke — "wie in den 1960er-Jahren, wo Klimakrise, Artensterben und Dürre noch Fremdworte waren". Auch die Landesumweltanwaltschaft rät davon ab, weitere Großprojekte zu bauen und schlägt vor, bestehende Anlagen stattdessen zu modernisieren.

Umstrittene Projekte wie der Ausbau des Wasserkraftwerks im Kaunertal spalten nicht nur die Tiroler Landesregierung. Sie könnten zum Zankapfel bevorstehender Koalitionsverhandlungen werden. Nicht nur das: Sie werfen auch die Frage auf, wie nachhaltig Tirol die Energiewende gestalten will. Jedenfalls steht viel auf dem Spiel — für Politik und Natur. (Steffen Arora, Laurin Lorenz, 6.9.2022)